Manche Berlinale-Tage sind fordernder als andere. Und dieser Montag gehört eindeutig zu den anspruchsvolleren. Das habe ich allerdings schon vorher gewußt, geht es im ersten (und einzigen) deutschen Wettbewerbsfilm doch um eine unglaublich schwierige Entscheidung: Was tun, wenn das ungeborene Kind nicht gesund ist? Eine Frage, der sich, hat man die Wahl, niemand stellen möchte, manch einer nicht mal als Kino-Zuschauer. Mein Freund zum Beispiel ist gar nicht erst mitgekommen. Überhaupt sitzen im rappelvollen Saal heute Vormittag mehr Frauen als Männer, meine Reihe ist eine reine Frauenriege.
Dabei geht es lustig los bei "24 Wochen". Julia Jentsch spielt Astrid, eine Comedian, die ihren Babybauch ins Showprogramm eingebaut hat. Hinter der Bühne wartet ihr Manager und Freund, zuhause die neunjährige Tochter. Eine Szene in der heimischen Hängematte sieht aus, als wäre sie einem Werbespot entsprungen. Doch dann kommt der Frauenarztbesuch und die Diagnose: Down-Syndrom. Es gibt schwere und leichte Fälle, werden Astrid und Markus aufgeklärt, was es aber tatsächlich wird, kann keiner vorher sagen. Das Paar reagiert überraschend gelassen. Setzt sich auseinender, informiert sich, verbringt einen schönen Tag mit Menschen mit Down-Syndrom. Die Entscheidung der beiden scheint besiegelt, alles geht weiter wie geplant, auch auf der Showbühne. Der Humor ist ihnen nicht vergangen. Ja, es wird ein Junge, und er hat Down-Syndrom. Doch das scheint dem Schicksal nicht zu reichen. Bei der nächsten Ultraschalluntersuchung entdeckt der Arzt außerdem einen Herzfehler. Einen, der Operationen nötig macht, die erste bereits kurz nach der Geburt. Puh. Wie gut, dass das nur im Film passiert, denke ich. Wie gut, dass ich nicht in Astrids Haut stecke! Doch genau das ist es, was mich so berrührt an diesem Film: Er zwingt mir die Frage auf, wie ich mich verhalten würde. Wie würde ich entscheiden?
Ein Röcheln wird lauter, Menschen rufen nach einem Arzt. Das Licht im Saal geht an, eine Frau, nur drei Reihen von mir entfernt, wird hinaus getragen. Mein Unbehagen wächst, um so mehr, je weiter der Film nach der Zwangspause voran schreitet. Denn jetzt ist Schluß mit lustig. Auf der Bühne bekommt Astrid kein Wort mehr heraus. Aber sie muss reden, sie muss sich entscheiden, und ist am Ende damit ganz allein. Dass wir alle dabei mitfühlen und mitleiden - und wahrlich, das tun wir in meiner Reihe -, liegt vor allem am Drehbuch und an Julia Jentsch. Was für eine Schauspielerin! Dieses Minenspiel: Zuversicht, Entschlossenheit, Zweifel, Angst. Am Ende verteile ich Taschentücher. Ergreifend, sagt die Frau neben mir. Da kann ich ihr nur voll und ganz zustimmen.
"24 Wochen" von Anne Zohra Berrached - XXXXx
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Juliane (Mittwoch, 17 Februar 2016 15:26)
Bei dem Film habe ich beim Blick ins diesjährige Berlinale-Programm direkt gedacht: Das tu ich mir nicht an. Zu deprimierend. Aber deine Filmkritik lässt mich nun doch denken: Vielleicht lohnt es sich, sich zu überwinden. Der kommt hoffentlich auch so in die Kinos. Danke für diesen Text!